3. Oktober 2018 – Erinnerung an 50. Jahre KMK-Empfehlung zur schulisch verpflichtenden Sexualerziehung

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Presse DGG 50 Jahre KMK SchulSexualerziehung

DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR GESCHLECHTSERZIEHUNG
GERMAN SOCIETY FOR SEXUALITY EDUCATION
MEMBER OF WAS (WORLD ASSOCIATION FOR SEXUAL HEALTH)

Presseerklärung

3. Oktober 2018

50 Jahre Schul-Sexualerziehung durch die KMK–Empfehlung vom 3.10.1968

Die schulische Sexualpädagogik wird aus Sicht der Lehrkräfte an allen Schulen aller Schularten länderübergreifend seit 50 Jahren mehr als stiefmütterlich behandelt. Selbst das weitreichende Ignorieren der verpflichtenden schulischen Aufklärung in allen Klassen aller Schulen wird staatlicherseits, so wie ich das sehe, beobachte und rückgemeldet bekomme, seit der Bekanntgabe der KMK-Empfehlungen zum 3.10.1968 nicht hinreichend durchgesetzt, sondern wegschauend hingenommen,- zum Nachteil von Schülerinnen und Schülern seit Generationen.

Auch die Eltern und Erziehungsberechtigten werden nicht bei der schwierigen Aufgabe der Aufklärung ihrer Kinder und Jugendlichen unterstützt, was eine verpflichtende Kooperation im jährlichen Elternabend der Schulen durch das Bundesverfassungsgericht obligatorisch vorgesehen hatte.

Die DGG eV nimmt diesen 50 Jahre zurückliegenden Beschluss der Kultusministerkonferenz KMK zum Anlass für einen Brief zur desolaten Situation der schulischen Sexualerziehung, die gesetzlich verpflichtend ist, aber den Zuständigen keinerlei Aus- und Zurüstung gewährt. Unerträglich!
Nach 50 Jahren muss endlich ernst gemacht werden mit dem Anspruch des abschließenden Passus des KMK-Dokuments, der verbindliche professionelle Ausbildung vorsieht zur grundlegenden und unerlässlichen Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte, – unabdingbar für diese herausfordernde Herkulesaufgabe der Schulen.

ANLAGE:

Empfehlungen zur Sexualerziehung der Kultusministerkonferenz KMK zur Sexualerziehung in den Schulen der Bundesrepublik Deutschland gültig für alle Bundesländer als Orientierungsrahmen für die Erstellung von Richtlinien in den Bundesländern im Rahmen der Kultushohheit

I. Aufgabe
Sexualerziehung als Erziehung zu verantwortlichem geschlechtlichen Verhalten ist Teil der Gesamterziehung. Sie ist notwendig, um die indivdual- und sozialethischen Aufgaben der Erziehung zu erfüllen. Sexualerziehung ist in erster Linie Aufgabe der Eltern. Die Schule ist aufgrund ihres Bildungs- und Erziehungsauftrages verpflichtet, bei dieser Aufgabe mitzuwirken. Während sich die Sexualerziehung im Elternhaus in einer privaten Sphäre vollzieht, steht sie in der Schule im Rahmen einer öffentlich – rechtlichen Ordnung. Das bedeutet, daß Sexualerziehung in der Schule andere Voraussetzungen und Formen als im Elternhaus hat, obwohl sie das gleiche Ziel anstrebt. In der Schule sollen Schülerinnen und Schüler zu den Fragen der menschlichen Sexualität ein sachlich begründetes Wissen erwerben. Dieses Wissen soll es ihnen ermöglichen, auf diesem Gebiet Zusammenhänge zu verstehen, sich angemessen sprachlich auszudrücken und sich ein Urteil – auch über schwierige und ungewöhnliche Erscheinungen zu bilden.
Sexualerziehung in der Schule soll dazu beitragen, daß die jungen Menschen ihre Aufgaben als Mann oder Frau erkennen, ihr Wertempfinden und Gewissen entwickeln und die Notwendigkeit der sittlichen Entscheidung einsehen. In dieser Zielsetzung begegnen sich die Bemühungen der Schule mit entsprechenden Bemühungen der Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und anderer Erziehungsgemeinschaften und -institutionen. Erziehung zum verantwortlichen geschlechtlichen Verhalten und Bewußtsein der Verantwortung, in die der Einzelne in Bezug auf sich selbst, den Partner, die Familie und die Gesellschaft gestellt ist, ist Aufgabe der Schule während der ganzen Schulzeit.

II. Durchführung
1. Grundlagen
Sexualerziehung in der Schule muß wissenschaftlich fundiert und methodisch durchdacht sein. Die Behandlung sexueller Phänomene und Probleme in der Schule geschieht in der Regel so, daß der Sachverhalt zur Sprache gebracht und erläutert wird; audio-visuelle Hilfsmittel können zur Unterstützung herangezogen werden. Der Unterricht über sexuelle Fragen soll sich nicht auf den Lehrervortrag beschränken. Dem Gespräch mit den Schülern kommt besondere Bedeutung zu. Es muß getragen sein vom Verständnis für die Situation des jungen Menschen und von der Achtung vor seiner Person. Schülerfragen sollen sachlich und altersgemäß beantwortet werden. Während sich die Sexualerziehung im Elternhaus als individuelle Erziehung vollzieht, handelt es sich in der Schule in der Regel um Erziehung in der Klassengemeinschaft oder in Gruppen. Diese Erziehung kann erst zur vollen Wirkung kommen, wenn sie auf der individuellen Erziehung aufbaut, sie fortsetzt und ergänzt. Zusammenarbeit von Elternhaus und Schule auf dem Gebiet der Sexualerziehung ist deshalb notwendig. Um die Sexualerziehung in Elternhaus und Schule aufeinander abzustimmen soll den Eltern Gelegenheit gegeben werden, ihre Erfahrungen und Fragen in Elterversammlungen zu diskutieren. Sie sollen rechtzeitig darüber informiert werden, welche Richtlinien zur Sexualerziehung in der Schule gelten und welche Themen in den Lehrplänen vorgesehen sind; sie haben dann die Möglichkeit, diese Fragen schon vorher mit ihren Kindern zu besprechen.

2. Unterrichtsziele
Bis zum Ende des ersten Schuljahres sollen alle Kinder den Unterschied der Geschlechter kennen und über die Tatsachen der Mutterschaft Bescheid wissen. Während der ersten sechs Schuljahre sollen die Kinder über die biologischen Grundtatsachen der Fortpflanzung des Menschen (Zeugung, Schwangerschaft, Geburt), über die körperlichen und seelischen Veränderungen während der Pubertät sowie über Menstruation und Pollution unterrichtet werden. Auf Gefahren, die durch „Kinderfreunde“ drohen, müssen die Schüler der ersten Jahrgänge immer wieder hingewiesen werden. Bis zum Ende des neunten oder zehnten Schuljahres sollen im Unterricht – unter Vermeidung enzyklopädischer Zielsetzung – behandelt werden:
Zeugung, Schwangerschaft und Geburt beim Menschen, geschlechtliche Probleme der Heranwachsenden (z.B. Verhalten der Geschlechter zu einander, verfrühte Sexualbetätigung, Masturbation), soziale und rechtliche Grundlagen des Geschlechts- und Familienlebens (z.B. Verlöbnis, Ehe, Familie Rechte und Pflichten der Eltern, Rechte des ehelichen und des unehelichen Kindes), sozialethische Probleme der menschlichen Sexualität (z.B. Empfängnisverhütung, Promiskuität, Prostitution, Homosexualität) sowie strafrechtliche Bestimmungen zum Schutz der Jugend und über sexuelle Vergehen (z.B. Vergewaltigung, Abtreibung, Kuppelei, Verbreiten von Geschlechtskrankheiten, Triebverbrechen). Bis zum Ende des dreizehnten Schuljahres und in den berufsbildenden Schulen sollen die oben genannten Themen vertieft behandelt werden, insbesondere die ethischen, rechtlichen und sozialen Probleme der menschlichen Sexualität unter Einschluß abnormer Formen menschlichen Sexualverhaltens. Die problematischen und negativen Erscheinungen menschlichen Sexualverhaltens sollen nicht in den Vordergrund gestellt werden. Die Schule muß aber bemüht sein zu verhindern, daß junge Menschen während oder nach ihrer Schulzeit in ihrem geschlechtlichen Verhalten aus bloßer Unwissenheit falsche Wege gehen.

3. Der Beitrag der Unterrichtsfächer
Sexualerziehung in der Schule ist nicht an ein bestimmtes Fach gebunden, sondern vollzieht sich in verschiedenen Unterrichtsfächern und in außerunterrichtlichen Schulveranstaltungen.
Es ist darauf zu achten, daß die Beiträge der Unterrichtsfächer und die sonstigen Bemühungen um Sexualerziehung in der Schule so aufeinander abgestimmt werden, daß die oben angegebenen Unterrichtsziele für die verschiedenen Alters- und Klassenstufen erreicht werden.
Nicht alle Unterrichtsfächer können in gleichem Maße zur Sexualerziehung beitragen. Wichtige Beiträge kann man von den im folgenden genannten Unterrichtsfächern erwarten.
Der Biologieunterricht vermittelt die Kenntnis der für die menschliche Sexualität wesentlichen Organsysteme und ihrer Funktionen. Dabei sollen Fortpflanzung und Sexualverhalten des Menschen nicht nur als Ausdruck einer allgemeinen auch für Pflanzen und Tiere geltenden Lebensgesetzlichkeit, sondern auch als eine besondere im Hinblick auf die darin enthaltene Verantwortlichkeit nur dem Menschen eigene Form der Lebensführung aufgezeigt werden. Die Unterrichtsgebiete Gesundheitslehre, Familien-hauswesen, Säuglingspflege und Kindererziehung geben die Möglichkeit, sexuelle Fragen zu besprechen.
Der Unterricht in Sozial- oder Gemeinschaftskunde behandelt die gesellschaftlichen und rechtlichen Gegebenheiten und Probleme des menschlichen Geschlechtslebens und dabei junge Menschen besonders betreffende Fragen.
In geisteswissenschaftlichen und künstlerischen Fächern kann kritische Betrachtung von Literatur und Kunst Anlaß sein, ein vertieftes Verständnis der menschlichen Sexualität zu vermitteln.
Der Religionsunterricht erklärt das theologische Verständnis der Geschlechtlichkeit des Menschen und die daraus abzuleitenden Forderungen an den Menschen.
Die für die Sexualerziehung notwendigen Lehrinhalte werden in die Lehrpläne der einzelnen Fächer aufgenommen.
Die Beiträge der Unterrichtsfächer zur Sexualerziehung können durch Vortragsveranstaltungen und Diskussionen ergänzt und vertieft werden.

III. Hilfen für den Lehrer; Lehrerfortbildung; Lehrerausbildung
Damit die Schulen überall in ausreichendem Maße ihre Aufgabe in der Sexualerziehung erfüllen können, sollen im Rahmen der verschiedenen Formen der Lehrerfortbildung geeignete Lehrgänge eingerichtet werden.
Besonders zu empfehlen sind Lehrerarbeitsgemeinschaften in den einzelnen Schulen.
Die Lehrerbibliotheken müssen mit der einschlägigen Literatur ausgestattet werden.
In die Studienordnungen für die verschiedenen Lehrämter und in die Ausbildungsordnungen der Institutionen des Vorbereitungsdienstes sind zweckdienliche fach- und erziehungswissenschaftliche, didaktische und unterrichtsmethodische Lehrveranstaltungen aufzunehmen.

Beschluß der Kultusminsterkonferenz 03.10.1968

DIE EMPFEHLUNGEN DER KMK „STORNO“ 2002
Obwohl die Empfehlungen der STÄNDIGEN KONFERENZ DER KULTUSMINISTER DER LÄNDER DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND (KMK) von 1968 im Jahr 2002 aufgehoben wurden, soll an dieser Stelle näher auf sie eingegangen werden, da sie die Basis bilden für die weiteren Entwicklungen im Bereich „schulische Sexualerziehung“. Denn alle Bestimmungen der Bundesländer gehen auf die Empfehlungen der KMK aus dem Jahr 1968 zurück und daher werden sie als Bezugspunkt und zum Vergleich der Länderdokumentation vorangestellt 16. Da die KMK später keine neuen Beschlüsse mehr zur Sexualerziehung gefasst hat und die Richtlinien der einzelnen Länder inhaltlich weit darüber hinausgehen, sind diese Empfehlungen von eher historischem Interesse.

Beschluss der KMK vom 3.10, 1968, in: Sammlung der Beschlüsse der STÄNDIGEN KONFERENZ DER KULTUSMINISTER DER LÄNDER IN DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND, 659, Neuwied, Luchterhand (Erg.-Lfg. 12 vom 21. 4.1969)

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