Präventionsstrategien

Kommunikationsprobleme und Dominanzansprüche können bei Kindern und Jugendlichen zu Gewalt führen. Dabei verwischen und vermischen sich mit zunehmendem Alter oft die Grenzen und Formen von körperlicher, verbaler und sexueller Gewalt. Schülerinnen und Schüler sollten deshalb frühzeitig in Elternhaus und Schule erfahren, dass die Ausübung jeder Art von Gewalt keine Duldung erfährt und gesellschaftlicher Ächtung unterliegt. Schülerinnen und Schüler können mit sexueller Gewalt an den verschiedenen Orten und in unterschiedlichen Zusammenhängen konfrontiert werden. Sexuelle Gewalt tritt neben direkten

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körperlichen Übergriffen auch in anderen Formen auf – visuell, verbal oder medial vermittelt.
Kinder und Jugendliche sollen sich Belästigungen und Bedrohungen nicht hilflos ausgeliefert fühlen, sondern um ihre Rechte, Schutz- und Hilfsangebote wissen und in aggressiven und bedrohlichen Situationen Möglichkeiten der Gegenwehr oder der Schutzsuche kennen.

Altersangemessen gilt es Sinne und Intuition der Schülerinnen und Schüler zu schärfen, damit sie möglichst früh Bedrohungen erkennen, Grenzverletzungen wahrnehmen und benennen können. Sie müssen mögliche Gefahrenquellen, die die Wahrscheinlichkeit sexueller Gewalt erhöhen, kennen.

Alkohol- und Drogenmissbrauch bergen ein hohes Risikopotential hinsichtlich sexueller Gewalt und gesundheitlicher Gefährdung. Medial vermittelte sexuelle Botschaften, die durch sexuelle Gewalt in Wort und Tat geprägt sind, können einer unterschwelligen Verrohung Vorschub leisten und im ungünstigen Fall Auswirkungen auf die sexuellen Vorstellungen und Handlungskonzepte Jugendlicher haben. Eine weitere Gefahrenquelle kann sich aus dem Missbrauch sozialer Macht in Beziehungen ergeben.

Schule reagiert, indem sie als Basis schulischer Gewaltprävention die Ich-Stärke bei Schülerinnen und Schülern fördert und die Wertekultur der Verfassung im Schulalltag einfordert. Die Vermittlung von Werten, die Ausbildung von Frustrationstoleranz, Empathiefähigkeit und Selbstbewusstsein stärken die sozialen und personalen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler in Konflikt- und Bedrohungssituationen. Selbstbewusste und zugleich sozial kompetente Kinder und Jugendliche werden seltener Opfer und sind seltener übergriffig bzw. Täterinnen oder Täter. Die Wertschätzung von Mitmenschen in ihrer Eigenart und die Übernahme von Verantwortung für das eigene Handeln sind wichtige Schritte des Reifungsprozesses vom Kind zum sozial kompetenten Jugendlichen und jungen Erwachsenen.

4.2.1 Persönlichkeitsstärkende Erziehungshaltung

Die Erziehung der Kinder liegt zuallererst in der Verantwortung der Eltern. Eine Erziehungshaltung, die Kinder als vollwertige Personen anerkennt und die Entwicklung ihres Selbstwertgefühls stärkt, trägt wesentlich zur Vermeidung sexueller Übergriffe bei. Mädchen und Jungen sollen zu selbstbewussten, selbstbestimmten, kritischen Menschen erzogen werden, die ihren Mitmenschen respektvoll und verantwortungsbewusst gegenüber treten. Ermutigen Erziehungsberechtigte ihre Kinder, auf ihr Körperempfinden zu achten, ihre Umgebung bewusst wahrzunehmen und über ihre Erlebnisse und Eindrücke zu sprechen, erleben diese, dass ihre Einschätzungen ernstgenommen werden. Kinder sollen Empfindungen – Gefallen bzw. Nichtgefallen – nicht vorgeschrieben bekommen, sie haben ein Recht auf selbst bestimmten Körperkontakt. So erfahren sie sich selbstwirksam. Sie lernen, dass sie in bestimmten Situationen

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„NEIN“ sagen dürfen und müssen. Von Kindern wird kein unbedingter Gehorsam eingefordert. Solch eine Erziehungshaltung kann es Kindern in Gefährdungssituationen erleichtern, sich einem fremden Willen entgegen zu stellen, „NEIN“ zu sagen, Hilfe zu holen oder einzufordern. Gefördert wird eine selbstbewusste Persönlichkeitsentwicklung durch

  • Aufmerksamkeit und Zuwendung durch die Eltern
  • das Erleben und Lernen von Verständnis
  • die Möglichkeit für Kinder, ihre eigene Persönlichkeit zu entfalten
  • das Ernstnehmen von Gefühlen und Intuition der Kinder
  • die vorgelebte Wertschätzung und Achtung anderer
  • den Aufbau einer realistischen Frustrationstoleranz bei den Kindern
  • eine Erziehung zu Achtsamkeit und Vorsicht
  • das Vermeiden einengender oder klischeehafter Erziehung.

4.2.2 Zusammenarbeit von Elternhaus und Schule

Eine persönlichkeitsstärkende Erziehung wird dann größtmögliche Wirkung entfalten, wenn sie von allen Bezugspersonen der Kinder und Jugendlichen – in Elternhaus und Schule – realisiert wird. Sie beinhaltet auch die Förderung von sozialer Kompetenz, d.h. von Selbstwertgefühl, Selbstbewusstsein sowie Empathie und wird begleitet von einer reflektierten Medienerziehung. Der Sensibilisierung der Erziehungsberechtigten für einen verantwortungsvollen und kritischen Medienkonsum des Kindes und die Beachtung von Sicherheitsregeln bei der Mediennutzung durch das Kind kommt besondere Bedeutung zu.

Bei Elternabenden können Eltern Inhalte und Möglichkeiten der Präventionsarbeit in der Schule und zu Hause im Bereich der Medienerziehung und bezüglich sozialer sowie personaler Kompetenzen kennenlernen sowie Fragen und Erfahrungen dazu einbringen. Zusätzliche Ansprechpartner werden vorgestellt wie bspw. geschulte Fachkräfte, Schulpsycholog(inn)en, Mitarbeiter(innen) der für den Bezirk zuständigen staatlichen Schulberatungsstelle oder auch Fachberater(innen) der Polizei. Eltern brauchen im Kontext der Familien- und Sexualerziehung

  • grundlegende Informationen zu sexueller Gewalt
  • Kenntnisse zur Prävention sexueller Gewalt
  • grundlegende Informationen zur Bedeutung sozialer sowie 
personaler Kompetenzen und zur Medienerziehung
  • Informationen zu Grundsätzen des gesetzlichen und pädagogischen Kinder-und Jugendschutzes und Möglichkeiten des technischen 
Jugendschutzes (Jugendschutzfilter für das Internet)
  • Hilfen, wie Präventionsinhalte an das eigene Kind bzw. die eigenen 
Kinder vermittelt und eingeübt werden können.

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4.2.3 Bedeutung der Medienumwelt

Kinder und Jugendliche wachsen in einer zunehmend sexualisierten Lebenswelt auf und sind besonders empfänglich für Trends und Wertvorstellungen, die durch Medien verbreitet und verstärkt werden. Schülerinnen und Schüler werden über Fernsehen, Internet, Musik, Computerspiele u.a. mit problematischen und verstörenden Inhalten zum Thema Sexualität konfrontiert. Dabei wird oftmals der Zusammenhang von Achtung, Zärtlichkeit, Liebe und Sexualität aufgehoben und ein bedenkliches Männer- und Frauenbild vermittelt.

Im Rahmen der Medienbildung hinterfragen Schülerinnen und Schüler mediale Botschaften kritisch und gehen in der Folge selbstbestimmter mit Medien um. Die Kenntnisse zu Jugend- und Datenschutz sowie zum Urheberrecht und das damit verbundene Wissen um die eigenen Rechte und Pflichten im Umgang mit digitalen Medien helfen, sich selbst besser zu schützen und auch anderen dabei achtungsvoll und wertschätzend zu begegnen.

Bei ungewolltem Kontakt mit problematischen und angstauslösenden Inhalten sollten sich die Kinder und Jugendlichen vertrauensvoll an Erziehungsberechtigte und Lehrkräfte wenden. Medienerziehung kann nur als gemeinsames Anliegen von Familie und Schule gelingen. Medienbildung ist Teil des pädagogischen Auftrags jeder Lehrkraft. Es empfiehlt sich, den Prozess der Medienbildung an der Schule im Sinne einer fortdauernden Wirksamkeit zu systematisieren.2 Belange der Medienbildung thematisieren unterschiedliche Fächer: Deutsch, Kunst und Musik, Sozialkunde, Sozialwesen, Soziallehre, Geschichte/Sozialkunde/Erdkunde, Natur und Technik, Informatik, Informationstechnologie (IT), Wirtschaft. Nachfolgende Tabelle zeigt die dabei für die Familien- und Sexualerziehung wichtigen Aspekte auf.

JahrgangsstufenSchülerinnen und Schüler
1, 2 • achten auf die Einhaltung grundlegender Sicherheitsregeln und Abwehrstrategien, da sie sich möglicher Gefahren bewusst sind 

• finden kindgerechte und sichere Medienportale bzw. -angebote 

• akzeptieren Maßnahmen zum technischen Kinder- und Jugendschutz 

3, 4 • wählen sichere Möglichkeiten zur Kommunikation aus 

• stufen Identifikationsfiguren und Identifikationsangebote aus den Medien 
als Teil einer fiktionalen Welt ein 

• identifizieren Gefahren des eigenen Mediengebrauchs 

5, 6 definieren Chancen und Risiken verschiedener Medienarten und -formate
• hinterfragen Medienangebote und mediale Identifikationsfiguren, z. B. im Fernsehen, Internet und in Computerspielen 

• entwickeln Strategien zum Umgang mit digitalen sexuellen Übergriffen (im Netz, per Handy, in der Musik) 

• gehen mit persönlichen Daten sowie Daten Dritter angemessen um, da sie um die Manipulationsmöglichkeiten von Daten und Bildern wissen 




7, 8 • wenden einfache Sicherheitsregeln und Abwehrstrategien zur Sicherheit von Informationen und Daten im Netz, in sozialen Netzwerken sowie im Chat an 

• reagieren angemessen auf medial vermittelte sexuelle Belästigung und Gewalt 

• halten grundlegende Aspekte des Urheberrechts, Persönlichkeitsrechts, Jugendmedienschutzes und Datenschutzes bei der Mediennutzung und -gestaltung ein 

• erkennen den Einfluss der Medien auf gesellschaftliche und eigene Vorstellungen von Sexualität und Schönheit 

• stellen Rollen- und Körperbilder und die Sexualisierung von Alltagsthemen in den Medien in Frage und prüfen kritisch z. B. Musikvideos oder Computerspiele 


9, 10 • bauen ihre Strategien zum Umgang mit sexuellen Übergriffen in der digitalen Kommunikation aus 

• schützen sich vor medialen Gefahren und treffen selbstständig geeignete Präventionsmaßnahmen aus der Kenntnis um Chancen und Risiken des Mediengebrauchs 

• halten bei der Mediennutzung Vorschriften des Daten- und Jugendmedienschutzes ein 

• analysieren und bewerten mediale Vor-/Leitbilder sowie Wirklichkeitskonstruktionen in virtuellen Welten, sozialen Netzwerken und in der Musik 

• hinterfragen kritisch den Einfluss der Medien durch Kommerzialisierung und Sexualisierung auf ihre eigene Meinungsbildung, Wertorientierung und ihr Handeln 

• überdenken ihre Selbstdarstellung in sozialen Netzwerken und deren Wirkung auf andere 

11, 12, 13 • verwenden mediale Kommunikationsformen situationsgerecht, adressatenorientiert sowie verantwortungsbewusst 

• hinterfragen kritisch die Rolle der Medien bei der Gestaltung des individuellen und gesellschaftlichen Lebens und ihrer Konstruktion von Wirklichkeit 


4.2.4 Sprechen über sexuelle Gewalt

Unaufgeklärte Kinder sind leichte Opfer. Ein aufgeklärtes, selbstbewusstes Kind hat eher die Chance, eine schwierige Situation zu meistern. Kindern und Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf stehen aufgrund ihrer größeren Abhängig- und Hilfsbedürftigkeit besonderer Schutz und Aufmerksamkeit zu. Stets in dem Bewusstsein, dass die Vermittlung dieses Themas besonderes Feingefühl erfordert und jegliche Emotionalisierung oder gar Dramatisierung verbietet, sollte deshalb nach der Vermittlung grundlegender Begriffe zur Sexualität (vgl. 2.2) bereits mit Grundschülerinnen und Grundschülern ein Gespräch über sexuelle Gewalt, im Sinne einer frühzeitigen Prävention von sexuellem Missbrauch, geführt werden. Solch ein Gespräch kann unter Einbeziehung geeigneter Medien geschehen oder beispielsweise anlässlich einer aktuellen Berichterstattung. Aufgrund der Sensibilität des Themas muss sich die Lehrkraft hierfür in jedem Fall besonders intensiv vorbereiten. Das Gespräch soll Kindern helfen, sexuelle Grenzverletzungen und Übergriffe als solche benennen zu können. Kinder, die nicht angemessen sexuell aufgeklärt sind, besitzen keine Sprache über sexuelle Vorgänge. Dies erschwert es ihnen, sich im Falle von Bedrohungen oder Missbrauch mitzuteilen. Dem Kind wird so vermittelt, dass die Bezugsperson (Eltern, Lehrerinnen und Lehrer) um die Realität sexueller Misshandlungen weiß und dass sexueller Missbrauch kein Tabuthema darstellt. Dies erleichtert einem Kind im Falle einer Bedrohung oder nach einer Grenzverletzung die Kontaktaufnahme mit Außenstehenden und das Sprechen darüber.

4.3 Die Rolle von Schule und Lehrkräften in der Präventionsarbeit

Die täglichen und intensiven Kontakte mit den Kindern prädestinieren vor allem die Grundschullehrkräfte als Ansprechpartner und Vertrauenspersonen für betroffene Kinder. Sie können einerseits entsprechende Anzeichen wahrnehmen, andererseits bieten sie Kindern, die von innerfamiliärem Missbrauch betroffen sind, vielleicht die einzige Möglichkeit, Außenkontakte zu knüpfen oder sich jemandem mitzuteilen. Die Lehrkraft beschränkt sich im Gespräch mit dem Kind oder Jugendlichen darauf zuzuhören, zu unterstützen und auf Wunsch der Schülerin oder des Schülers eine Intervention zu begleiten.

Die Abklärung eines Verdachts (Interventionsarbeit) aus eigenem Antrieb, die Aufdeckung einer sexuellen Misshandlung oder die Konfrontation der Täterin oder des Täters gehören jedoch nicht zum Aufgabengebiet der Lehrkraft.

Zusätzlich zu ihrer Aufklärungsarbeit im Unterricht sind Lehrkräfte gehalten, Verhaltensänderungen wahrzunehmen, die Hinweissignale dafür sein können, dass ein Kind Opfer sexueller Gewalt ist. Die Signale müssen ernst genommen und der Beauftragte für Familien- und Sexualerziehung in seiner Funktion als Interventionsbeauftragter muss informiert werden. Zu dessen Aufgaben zählt es, sich

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über die notwendigen Schritte bei einer eventuellen Intervention zu informieren, sich dazu fortzubilden und die Ansprechpartner der Hilfsorganisationen und Behörden vor Ort zu kennen, die im Fall eines Verdachts auf sexuellen Missbrauch kontaktiert werden müssen bzw. können. Weitere wichtige Ansprechpartner für Eltern und Lehrkräfte sind v.a. die Schulpsychologen, die Mitarbeiter der für den Bezirk zuständigen staatlichen Schulberatungsstelle sowie der Jugendhilfe.

5 Inkrafttreten, Außerkrafttreten

Diese Bekanntmachung tritt mit Wirkung vom 15. Dezember 2016 in Kraft. Gleichzeitig tritt die Bekanntmachung über die Richtlinien für die Familien- und Sexualerziehung in den bayerischen Schulen vom 12. August 2002 (KWMBl. I S. 285) außer Kraft.     Herbert Püls Ministerialdirektor

  • Liebe Lehrkräfte, Eltern und Interessierte

    es gibt manchmal Themen, mit denen die Beschäftigung schwer fällt. Hierzu gehört das Thema „Sexueller Missbrauch“. Ich weiß nicht, wie vertraut Ihnen dieses Thema ist. Vielleicht ist es Ihnen auch schon im Bekanntenkreis, im näheren oder weiteren Bereich Ihrer Familie oder aus eigener Erfahrung begegnet.

    Was versteht man unter sexuellem Missbrauch?

    Hierunter versteht man sexuelle Handlungen eines Erwachsenen oder Jugendlichen mit Kindern, wobei die Kinder diese Handlungen nicht wollen und nicht imstande sind, diese Situation zu kontrollieren. Missbrauchshandlungen können sowohl mit als auch ohne körperliche Berührungen stattfinden. Dazu gehören z.B. das Präsentieren von pornographischen Zeitschriften, Videos etc. gegenüber Kindern, die Masturbation im Beisein eines Kindes, das Berühren und Manipulieren der Genitalien des Kindes und der Geschlechtsverkehr.

    Dabei nützen die älteren Personen ihre Autorität oder die Abhängigkeit von Kindern und Jugendlichen aus, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Dies kann geschehen durch emotionalen Druck, die Ausnutzung kindlicher Loyalität, durch körperliche und psychische Gewaltausübung, Betäubung mit Rauschmitteln und Bestechungen mit Geschenken. Nahezu alle Missbraucher verpflichten die Kinder zur Geheimhaltung.

    Wie häufig kommt eigentlich sexueller Missbrauch vor? 

    Fachleute schätzen die Gesamtzahl von sexuellem Missbrauch auf etwa 300.000 Fälle pro Jahr, wobei die Zahl der angezeigten Fälle bei ca. 16.000 liegt. Die Dunkelziffer ist somit sehr hoch, besonders bei den Jungen. Es wird vermutet, dass in Deutschland jedes 4. bis 5. Mädchen und jeder 8. bis 12. Junge Opfer sexueller Übergriffe wird.

    Wer sind die Täter und wer die Opfer?

    Es zeigt sich immer wieder, dass die Täter des sexuellen Missbrauchs zu 80 bis 90% aus dem so genannten sozialen Nahbereich der Opfer kommen. Täter und Opfer kennen sich vor der Tat. Es besteht eine persönliche Beziehung, die seitens des Opfers vielfach von Vertrauen und Zuneigung geprägt ist.

    Den großen Unbekannten, über den die Presse bei spektakulären Fällen berichtet, gibt es sehr selten.

    Die Altersstruktur der Opfer stellt sich wie folgt dar:

    – ca. 16% sind bei Beginn jünger als 4 Jahre alt

    – ca. 40% sind 4 bis 8 Jahre alt

    – ca. 27% sind 9 bis 12 Jahre alt

    – ca. 14% sind 13 bis 16 Jahre alt

    Diese Zahlen stammen aus deutschen, englischen und US-amerikanischen Kinderschutz- und Beratungseinrichtungen.

    Was bewirkt sexueller Missbrauch bei den Opfern?

    Kinder und Jugendliche, die sexuell missbraucht werden, fühlen sich verraten und sind traurig. Ein Mensch, dem sie vertraut haben, hat ihre Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit ausgenutzt und hat dabei auch noch Gewalt angewendet. Sie haben Angst vor dem nächsten Mal, vor den damit verbundenen Schmerzen und Angst vor Schwangerschaft. Sie haben auch Angst vor den Reaktionen der Umwelt, weil sie sich für das schämen, was ihnen passiert ist. Sie haben Schuldgefühle, weil sie glauben, dass sie sich nicht genug gewehrt haben, oder weil sie eigene Erregung gespürt haben. Dadurch sind sie sprachlos und fühlen sich isoliert, hilflos und verzweifelt.

    Woran können Sie erkennen, dass Kinder und Jugendliche sexuellen Missbrauch erfahren? 

    Auf körperlicher Ebene zeigen sich Veränderungen oder Verletzungen, für die es keine ausreichende Erklärung gibt, z.B. Risse am After oder an der Vagina, Hämatome in den erogenen Zonen oder Unterleibsbeschwerden.

    Kinder und Jugendliche, die sexuell missbraucht werden, äußern ihr inneres Erleben auf unterschiedlichste Art und Weise.

    Die meisten sexuell missbrauchten Mädchen und Jungen entwickeln Verhaltensauffälligkeiten. Wofür welches Verhalten eines Kindes steht, was es damit ausdrücken und aussagen will, lässt sich jedoch erst bei Betrachtung und Berücksichtigung der gesamten Lebenssituation beurteilen.

    Solche Verhaltensauffälligkeiten oder Symptome können z.B. sein:

    – stark sexualisiertes Verhalten wie offene Masturbation oder stark sexualisierte Sprache

    – psychosomatische Symptome wie Schlafstörungen, Sprach- und Konzentrationsstörungen

    – psychische Auffälligkeiten wie Schuldgefühle, Schamgefühle, Angst- und Ohnmachtsgefühle

    – Drogen- und Alkoholabhängigkeit

    – Leistungsstörungen, Leistungsverweigerungen

    – Angst oder Verweigerung, sich nackt zu zeigen, wie z.B. beim Duschen oder beim Arzt

    – Verweigerung oder Verleugnung von eigenen sexuellen Bedürfnissen

    – distanzloses Verhalten, d.h. unangemessen engen Körperkontakt suchen

    – misstrauisches, verschlossenes und distanziertes Verhalten

    – selbstverletzendes Verhalten bis hin zum Suizid

    Die o.g. Verhaltensweisen können auch andere Ursachen haben als Missbrauchserfahrungen. Ernst zu nehmen sind solche Verhaltensänderungen immer, weil sie auf schwerwiegende psychische Probleme hinweisen. Ob es sich im Einzelfall um Missbrauchserlebnisse handelt, ist genau zu prüfen.

    Was können Sie bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch tun?

    Wichtig ist zuallererst, dass Sie Ruhe bewahren und nicht überstürzt handeln. Da es sich um eine sehr sensible und emotional aufgeladene Problematik handelt, können Sie am hilfreichsten handeln, wenn Sie nicht gefühlsmäßig in die Situation verwickelt sind. Dies soll natürlich nicht Ihrem Verständnis und Mitgefühl für die Betroffenen widersprechen. Unüberlegte Konfrontation mit dem Täter ist nicht hilfreich.

    Der Schutz des Kindes oder Jugendlichen hat immer Vorrang vor allen anderen Handlungen. Welche Strategie Sie dann wählen, hängt vom Einzelfall ab und den damit verbundenen Zielen.

    Allgemein kann man jedoch sagen, dass Gespräche und Unterstützung für das betroffene Kind immer hilfreich sind, um dem Kind zu signalisieren: „Ich glaube dir und ich bin für dich da.“

    An wen wenden Sie sich, wenn Sie sich überfordert fühlen?

    Es gibt verschiedene Institutionen, an die Sie sich wenden können. Sie haben teilweise sehr unterschiedliche Aufgaben, sodass im Vorfeld zu klären ist, welche Art von Unterstützung Sie benötigen.

    – Wenn Sie Verdachtsmomente haben, die auf einen sexuellen Missbrauch hinweisen, können Sie sich insbesondere an eine Beratungsstelle gegen sexuellen Missbrauch wenden. Informationen und Auskünfte über die örtlichen Beratungsstellen erhalten Sie zum Beispiel bei: Zartbitter Köln e.V., Kontakt- und Informationsstelle gegen sexuellen Missbrauch an Mädchen und Jungen, Sachsenring 2 – 4, 50677 Köln.

    – Auch Lehrkräfte, Schulpsychologen und Erziehungsberatungsstellen bieten Ihnen Hilfe bei Ihren Fragen.

    – Wenn es sich um Ermittlungen und Strafverfolgung handelt, sollten Sie zur Polizei oder Staatsanwaltschaft Kontakt aufnehmen.

    – Wenn es sich um die Frage handelt, ob das Kind weiter in der Familie bleiben kann, sollten Sie sich an das Jugendamt wenden. Hier wird die möglicherweise notwendige Unterstützung für das Kind veranlasst.

    – Wenn Sie als Familie von sexuellem Missbrauch betroffen sind und Sie die bestehenden Probleme gemeinsam bewältigen wollen, können Sie sich an eine Beratungsstelle oder an eine Psychotherapeutin wenden. Familientherapeutische Ansätze haben sich hierbei in der Praxis als besonders hilfreich bewährt.

    – Wenn eine akute Gefährdung vorliegt, ist eine sofortige Aufnahme in einem Mädchen- oder Frauenhaus möglich. Die Telefonnummer zur Kontaktaufnahme erfahren Sie aus dem Telefonbuch oder bei der Polizei.

    – Die Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz (AJS) Landesstelle NRW e.V. hat in Zusammenarbeit mit einer Projektgruppe, der Fachleute aus allen betroffenen Bereichen angehören, die Broschüre „Gegen sexuellen Missbrauch an Mädchen und Jungen – Ein Ratgeber für Mütter und Väter” herausgegeben.

    Quelle: Lehrgangsmitbringsel „ohne Zuordnung“ … für nähere Hinweise wären wir dankbar.