2. September 2025 – Sexualisierte Gewalt als Thema der schulischen Sexualaufklärung – FORUM 1–2025 des Bundesinstituts für Öffentliche Gesundheit (BIöG bisher BZgA) eben erschienen, „verdient Beachtung“, so Dietz von der DGG.

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Wie präsent ist das Thema Sexualaufklärung – inklusive Prävention sexualisierter Gewalt – wirklich im Unterricht? Und vor welchen Aufgaben stehen Lehrkräfte sowie Förderpädagoginnen und -pädagogen dabei? Dieser Beitrag fasst aus Ergebnisse aus unterschiedlichen Studien zusammen, die im Auftrag des Bundesinstituts für Öffentliche Gesundheit (BIÖG, ehemals BZgA) entstanden sind – und gibt Einblicke in die Praxis der schulischen Sexualaufklärung.

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Fazit

Zusammenfassend zeigen die Studien des BIÖG (ehemals BZgA), dass das Thema sexualisierte Gewalt zwar in der schulischen Sexualaufklärung behandelt wird, der Anteil an Jugendlichen, die in der Schule darüber sprechen, jedoch seit knapp 20 Jahren unverändert geblieben ist: Der Anteil der jungen Menschen schwankt um die 45 Prozent. 

Besonders in der Grundschule zeigt sich eine Polarisierung: Einerseits wird das Thema von den befragten Lehrkräften und Förderpädagoginnen und -pädagogen mehrheitlich als angemessen bewertet, Schülerinnen und Schüler stellen Fragen und auch Eltern äußern in diesem Bereich die stärksten Wünsche nach zusätzlicher Aufklärung. Andererseits stellt die Thematisierung sexualisierter Gewalt Lehrkräfte und Förderpädagoginnen und -pädagogen vor Herausforderungen und auch Eltern äußern zu diesem Thema die meisten Vorbehalte.

Als Schlussfolgerung gilt es, die Aus- und Fortbildungen für (angehende) Lehrkräfte und Förderpädagoginnen und -pädagogen im Bereichen Sexueller Bildung zu intensivieren und zu professionalisieren (Lache & Khamis, 2022; Wienholz, 2022), die Zusammenarbeit mit externen Fachkräften zu intensivieren und gerade in weiterführen Schulen partizipative Ansätze der Beteilung der Schülerinnen und Schüler zu etablieren, um strukturelle und konzeptionelle Ressourcen für die Prävention von sexualisierter Gewalt zur Verfügung zu stellen. Die Effektivität dieser Maßnahmen gilt es dann im Rahmen wissenschaftlicher Studien zu evaluieren und insgesamt die Lehr- und Unterrichtsforschung im Bereich der schulischen Sexualaufklärung auszubauen.

Sexualaufklärung in der Schule ist eine der zentralen Quellen der Wissensvermittlung rund um Sexualität und Verhütung. Auch Prävention von sexualisierter Gewalt wird besprochen. Doch wie präsent ist das Thema im Unterricht und vor welchen Herausforderungen stehen Lehrkräfte und Förderpädagoginnen und -pädagogen dabei? Der Beitrag fasst aktuelle Ergebnisse aus unterschiedlichen Studien zusammen. Diese Studien wurden im Auftrag der ehemaligen Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) – jetzt Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit (BIÖG) – durchgeführt. Unter neuem Namen setzt das BIÖG die bewährte Arbeit der BZgA im Rahmen des Schwangerschaftskonfliktgesetzes (SchKG) fort und liefert wie gewohnt verlässliche Erkenntnisse zur sexuellen und reproduktiven Gesundheit in Deutschland.

Sexualaufklärung in Schulen: Hintergrund, Herausforderungen und Forschungslücken

Umfassende Sexualaufklärung (Comprehensive Sexuality Education, CSE) trägt nachweislich zur Gesundheit und zum Wohlbefinden junger Menschen bei. Ein UNESCO-Review zeigt, dass CSE u. a. die Prävention von sexuell übertragbaren Infektionen (STIs) fördert, ungewollten Schwangerschaften sowie geschlechtsspezifischer Gewalt und Ungleichheit vorbeugt und junge Menschen insgesamt befähigt, ihre sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte zu schützen und zu stärken. Schulen spielen dabei eine zentrale Rolle, da dort viele junge Menschen erreicht werden, bevor sie sexuell aktiv werden (UNESCO et al., 2018). 

In Deutschland ist Sexualaufklärung fester Bestandteil der Lehrpläne aller Bundesländer ab der ersten Klasse (Deutscher Bundestag, 2016). 87 Prozent der Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren gaben 2019 an, im Unterricht Themen zur sexuellen und reproduktiven Gesundheit behandelt zu haben (Scharmanski & Hessling, 2024). Schulen sind damit entscheidende Multiplikatoren: Lehrkräfte vermitteln Wissen und Handlungskompetenzen zu Sexualität und Verhütung.

Trotz der robusten bildungspolitischen Verankerung gibt es seit vielen Jahren Debatten über die Umsetzung der schulischen Sexualaufklärung. So zeigen sich große Unterschiede in der Ausgestaltung, im Differenzierungsgrad und in der konkreten Umsetzung im Schulalltag – nicht nur zwischen den Bundesländern, sondern auch zwischen den einzelnen Schulen und Lehrkräften (Simon & Kallweit, 2022). Zudem wird CSE gesellschaftlich kontrovers und ideologisch motiviert diskutiert, z. B. durch Kampagnen rechtsextremer oder religiöser Gruppen, die gegen sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte (SRHR) mobilisieren (EPF, 2021).

Ein weiterer Widerspruch ergibt sich aus der Tatsache, dass die schulische Sexualaufklärung trotz ihrer großen gesellschaftlichen und gesundheitlichen Bedeutung bislang nur unzureichend erforscht ist. Die pädagogische Bildungsforschung weist hier ein klares Forschungsdefizit auf, da nur wenige fundierte Erkenntnisse und Evidenzen zu Grundlagen und praktischer Anwendung vorliegen (Coers et al., 2023). 

Dieser Artikel basiert auf Sekundärergebnissen, die sich mit der Rolle von sexualisierter Gewalt im Rahmen der schulischen Sexualaufklärung befassen. Eine Datengrundlage ist die Jugendsexualitätsstudie, die Aufschluss darüber gibt, wie viele Jugendliche sexualisierte Gewalt im schulischen Kontext thematisieren und ob sich dieser Anteil im Zeitverlauf geändert hat (Scharmanski & Hessling, 2021). Diese Daten geben Einblicke in die Sichtweise von Jugendlichen. Die Perspektive von Lehrkräften und Förderpädagoginnen und -pädagogen wird im zweiten Teil aufgegriffen (Scharmanski & Mirza, 2023b) und beleuchtet die Thematisierung sexualisierter Gewalt im Grundschul-Setting. Es werden Ergebnisse präsentiert, die zeigen, wie Lehrkräfte und Förderpädagoginnen und -pädagogen das Thema im frühen Bildungsbereich wahrnehmen und welche Herausforderungen oder Bedarfe sie bei der Vermittlung und Prävention sehen.

Sexualisierte Gewalt als Bestandteil der schulischen Sexualaufklärung. Ergebnisse aus der Jugendsexualitätsstudie

Ein erster Blick in die Jugendsexualitätsstudie des Bundesinstituts für Öffentliche Gesundheit (BIÖG) – ehemals BZgA – bietet eine übergeordnete Perspektive auf das Thema sexualisierte Gewalt im Kontext der schulischen Sexualaufklärung. Die Studienreihe wird seit 1980 regelmäßig durchgeführt und fokussiert das Sexual- und Verhütungsverhalten Jugendlicher und junger Erwachsener in Deutschland. Neben Fragen zu sexuellen Erfahrungen und Verhütungsmethoden erfasst die Studie auch die verschiedenen Informationsquellen zur Sexualaufklärung, darunter die Rolle der Schule, der Medien und des Elternhauses. Detaillierte Informationen zum methodischen Vorgehen sind an anderer Stelle bereits veröffentlicht (Scharmanski & Hessling, 2021, 2022). 

Nachfolgend wird hier besonders die Rolle der Schule als Instanz der Sexualaufklärung betrachtet. Ziel ist es, herauszuarbeiten, wie häufig und in welchem Umfang das Thema sexualisierte Gewalt in der Schule behandelt wird und ob sich dies im Zeitverlauf verändert hat.

Bereits seit mehreren Jahrzehnten zeigt sich, dass die große Mehrheit der Jugendlichen in Deutschland Sexualaufklärung in der Schule hat (siehe Abbildung 1). Die Bedeutung der Schule als zentraler Ort der Wissensvermittlung rund um Sexualität und Verhütung ist dabei konstant hoch. In der jüngsten Erhebung ist jedoch ein bemerkenswerter Rückgang des Anteils an Jugendlichen in den westlichen Bundesländern zu erkennen, die in der Schule nach eigenen Angaben Sexualaufklärung erhalten haben. Dieser Rückgang steht im Kontrast zu einer stabilen Entwicklung in den östlichen Bundesländern (Scharmanski & Hessling, 2024). Die Daten der zehnten Welle der Jugendsexualitätsstudie werden neue Einblicke ermöglichen und zeigen, ob dieser rückläufige Trend in den westlichen Bundesländern anhält.

Abbildung 1 zeigt, dass die Schule für Jungen wie Mädchen und im Vergleich zwischen west- und ostdeutschen Ländern ein zentraler Ort der Wissensvermittlung rund um Sexualität und Verhütung ist.