1. November 2022 – Bonn, Würzburg, Berlin: NOTA BENE zur dauerhaften Erinnerung: Heute vor 40 Jahren ließ der in der Regierung Kohl zuständige Minister Heiner Geißler (1) die 1976 von einer sexualpädagogischen Fachkommission zeit- und schulgemäß erstellten Medien (Filme) und Materialien (Arbeitsblätter) zur Sexualerziehung in den Schulen vernichten.

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Experten nannten „christliche“ Parteipolitik und besserwisserische Ideologie nach dem Regierungswechsel als Gründe und gaben die Unkosten der einer Bücherverbrennung ähnlichen Aktion mit 1 Million DM Steuergelder an.

Der versprochene und notwendige Ersatz für den in allen Schulen aller Schularten auf allen Schulstufen verpflichtenden Sexualkunde-Unterricht wurde lange Zeit nicht erbracht.

Und das jetzt nach 40 Jahren vorliegende Material der zuständigen Fachbehörde BZgA ist wissenschaftlicher Kritik wegen ideologiegefärbter Einseitigkeit ausgesetzt, weil es in der Fachwissenschaft nicht abgestimmt wurde und somit nicht gänzlich konsensfähig gilt.

Quellen:

1 https://de.wikipedia.org/wiki/Heiner_Geißler] – Heiner Geißler (bürgerlich Heinrichjosef Georg Geißler;[ * 3. März 1930in Oberndorf am Neckar; † 11. September 2017 in Gleisweiler) war ein deutscher Jurist und Politiker (CDU). Er war von Mai 1967 bis Juni 1977 Minister in der Landesregierung von Rheinland-Pfalz unter den Ministerpräsidenten Peter AltmeierHelmut Kohlund Bernhard Vogel, 1982 bis 1985 Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit im Kabinett Kohl und von 1977 bis 1989 Generalsekretär der CDU. Besonders während der Zeit als Generalsekretär fiel Geißler öfter durch stark polarisierende Äußerungen über politische Gegner auf. 

2 Vernichtung von Sexual-Informationsmaterial für Schulen – Folgende Kurzmeldung z. B. FAZ war am 25.11.1983 in deutschen Zeitungen zu lesen: „Familienminister Geißler hat veranlasst, dass das 1976 vom Bund mit Millionen hergestellte Sexual-Aufklärungsmaterial für Schulen vernichtet wird.“

3 DGG-Informationen, Nr. 3/4 1984, S. 7 – Vernichtung von Sexual-Informationsmaterial für Schulen – Folgende Kurzmeldung war am 25.11.1983 in deutschen Zeitungen zu lesen: „Familienminister Geißler hat veranlasst, dass das 1976 vom Bund mit Millionen hergestellte Sexual-Aufklärungsmaterial für Schulen vernichtet wird.“

In einem Brief vom 29.11.1983 wandte sich der DGG-Vorsitzende sogleich an Bundesminister Dr. Heiner Geißler, Ministerium für Jugend, Familie und Gesundheit, verwies auf diese wörtlich zitierte Kurzmeldung und schrieb: „Als Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Geschlechtserziehung e. V. und Professor für Schulpädagogik an der Universität Bonn, der ich in Forschung und Lehre mit dem Thema ,Sexualerziehung in den Schulen‘ intensiv befasst bin, bitte ich Sie um Auskunft, ob diese Meldung der Wahrheit entspricht. Sollte dies der Fall sein, wäre ich Ihnen dankbar, wenn ich Exemplare dieses Materials vor der Vernichtung für meine Arbeit haben könnte. Vielleicht könnte ich auch erfahren, welche Gründe für die genannte Maßnahme sprechen.“

Im Antwortschreiben des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit unter dem Zeichen 511-2704-IID 5/26 vom 14.12.1983 hieß es: „Herr Bundesminister Dr. Geißler hat mich beauftragt, Ihnen für Ihr Schreiben zu danken.

Es ist richtig, dass das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit veranlasst hat, die Materialien „Betrifft: Sexualität“ nicht mehr zu verbreiten.

Dies wurde nicht deshalb getan, um eine vernünftige Aufklärung der Jugend über Fragen der Sexualität zu verhindern. Im Gegenteil: es hält eine solche Aufklärung, wie sie am besten innerhalb der Familie, aber auch z. B. in der Schule stattfindet, für notwendig.

Die Maßnahme ist auch nicht erfolgt, um eine Aufklärung über noch vorhandene rollenspezifische Vorurteile und Rollenklischees über Frauen und Männer zu verhindern. Im Gegenteil: Das Bundesministerium ist bemüht, jeder Diskriminierung, insbesondere der der Frauen, entgegenzuwirken. Die Bundesregierung geht von den Grundsätzen der Gleichberechtigung und Partnerschaft aus, wie das auch Herr Bundeskanzler Kohl in seiner Regierungserklärung betont hat.

Bei allem notwendigen Verständnis für Minderheiten: das Grundgesetz hat seine Bedeutung auch für die Broschüren und Materialien, die ein Bundesministerium vertreibt. Im Grundgesetz (Art. 6, Abs. 1) heißt es: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung“. In „Betrifft: Sexualität“ heißt es dagegen, dass „Ehe und Familie … als wichtige Bedingung für das Lebensglück hochgelobt“ werden, und: „Wir sind zu stark auf Ehe und Familie in der heutigen Form festgelegt“.

Es gehört nicht zu den Aufgaben des Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit, Ehe und Familie auf diese Weise zu relativieren.

Eine eingehende Prüfung der Arbeitsmappe „Betrifft Sexualität“ hat ergeben, dass sie für eine weitere Verwendung nicht geeignet ist. Ein Teil der Bögen enthält Aussagen und bildliche Darstellungen, die den Vorstellungen der Bundesregierung über eine wertorientierte Sexualpädagogik nicht entsprechen, weil darin Sexualität auch ohne Liebe und ohne tiefere gefühlsmäßige Bindungen propagiert (Zitat “‘Sex nur bei Liebe‘ kann deshalb keine moralische Forderung sein. Ob es richtig ist, zu bumsen oder nicht zu bumsen, könnt also im Grunde nur ihr miteinander entscheiden.“), sittliche Normen abgewertet und der Wert der grundsätzlich geschützten Institutionen Ehe und Familie infrage gestellt werden.

Bei den Hinweisen auf „besonders geeignete“ Aufklärungsbücher wird in der Arbeitsmappe auch das Buch „„Sexualpädagogik für Jugendliche“ von Bent H. Claesson empfohlen, dessen Verbreitung auf Antrag der Zentralstelle zur Bekämpfung gewaltverherrlichender, pornografischer und sonstiger jugendgefährdender Schriften in Stuttgart vom dortigen Oberlandgericht verboten wurde. Da Arbeitsmappe und Filme als Medienpaket eine Einheit darstellen, können auch die Filme nicht mehr eingesetzt werden.

Es kann und darf nicht Aufgabe einer aus öffentlichen Mitteln finanzierten Sexualaufklärung sein, die unterschiedlichen Auffassungen und Normen im Bereich sexueller Fragen dadurch infrage zu stellen, dass der Eindruck erweckt wird, als gebe es in diesem Bereich keine den Einzelnen verpflichtenden Normen, sondern lediglich sein und seines Partners momentanes Interesse. Die vernichteten Materialien enthielten aber genau diese Position und propagierten damit eine Auffassung, die von einem großen Teil der Bürger unseres Landes nicht geteilt wird.

Ihrer Bitte, Ihnen noch ein Exemplar der Arbeitsmappe zur Verfügung zu stellen, kann leider nicht entsprochen werden. Die beschlossene Vernichtung der vorhandenen Arbeitsmappen und Filme ist bereits erfolgt.“

4 Sexualerziehung- aber wie? Linus Dietz, 1985, Oldenburg-Verlag (vergriffen)

5 Vortrag (Manuskript ) Linus Dietz, LAK Dilligen, 1984Vom Einsatz und Umgang mit Medien in der schulischen Sexualerziehung

Sexualerziehung durch Richtlinien verordnet

„Sexualerziehung gibt es praktisch nur theoretisch“, sagte mein Schüler Rudi, 15 Jahre, 9. Jahrgang 1983. Er traf damit die ganze sexualpädagogische Weisheit: Sexualerziehung wurde den Schulen verordnet und hat demgemäß stattzufinden; Sexualerziehung wird wegen fehlender Fortbildung und mangels Interesse der Administration nahezu nicht durchgeführt.

Neben den zahlreichen Ideologiediskussionen bleibt die Frage des Medieneinsatzes im Sexualunterricht ein heißes Eisen. Es bedarf dabei keiner politischen Medienvernichtungsaktion (siehe Kasten 1), um sich der Problematik bewusst zu werden. Was eine renommierte Bundeszentrale mit viel Steuergeld und couragiertem Engagement aufbaute und lange erfolgreich benützte, durften „Politoberpädagogen“ nahezu unbemerkt mit hohem Steuergeldeinsatz ersatzlos wegfegen. Nicht die Anwendung des Rechts, sondern der Einsatz politischer Macht auf dem Gebiete der Pädagogik hinterlässt Nachgeschmack. Sexualpädagogik gilt den ernsthaften Lehrern längst nicht mehr als pragmatische politische Erziehung. Politiker können dies nur sehr schwer wahrhaben. Wie sollen sie und die Erwachsenen ihrer Generation sexualpädagogische Leitlinien finden und realisieren, wenn die eigene Sexualisation in tabuisiertem Niemandsland von (a)sexuellen Nobodys (nicht) betrieben wurde? Selbst forsche Pädagogen dieser Generation geraten immer wieder (vor allem mit sich selbst) in schier unlösbare Konflikte auf dem Wege in eine allgemeine sexuelle Liberalität.

Die Kultusministerkonferenz (KMK) 1968 als Maßstab

Die KMK 68 setzte den neuzeitlichen sexualpädagogischen Meilenstein für eine endlich umfassende, Sexualität nicht länger ausklammernde Erziehung. Dieses konsensfähige Verständnis setzt sich immer mehr in der Öffentlichkeit durch. Die Richtlinien prägen durch ihre offenen Aussagen die Ziele und Inhalte, die Unterrichtsmethoden und die dazugehörige Technologie.

Die Eltern sehen großteils erleichtert auf den sie diesbezüglich entlastenden Partner Schule: „Das könnte ich nie!“

Die Kinder begrüßen die ehrliche Auseinandersetzung um lebensnahe Themen: „Ach so deswegen!“

Die Schule nimmt den vorgeschriebenen Auftrag grundsätzlich an und versichert sich in den Elternabenden nicht nur der Zustimmung, sondern auch der Rückendeckung: „So stelle ich mir das vor und diese Medien/Materialien möchte ich benutzen, um die und jene Ziele zu erreichen. Schön wärs, wenn Sie Ihr Kind ein wenig darauf vorbereiten könnten!“

Die Medien als längst nicht mehr „geheime“ Miterzieher schließen derweil ungeniert ins Kraut und nehmen auf Schule und Elternhaus keine Rücksicht, aber jede Mark: „Das ist Marktwirtschaft, freie!“ Alle argumentieren „zum Wohle“ des Kindes. Selbst die sexualpädagogischen Drückeberger und notorischen Verweigerer, die sich für schulisch asexuell halten und aus der Erziehung ausklinken wollen, haben mit ihren verunsichernden Stereotypen angeblich nichts anderes im Sinn: „So jedenfalls nicht“ ist das letzte Wort; „wie denn?!“ bleibt unbeantwortet.

Das führt zu Visionen: 

Sexualisation und Medien

Bei all den schwierigen und z. T. selbstverunsichernden Gedanken spielen die schulischen Medien und Materialien eine große Rolle. Einerseits greift desorientierende Libertinage bis zur allgemeinen Verunsicherung öffentlich Platz, andererseits wird der Lehrer durch „„amtliche Verlautbarungen eher mehr im Ungewissen gelassen. Auch durch höchstrichterliche Rechtsprechung wurde die schulisch verordnete Sexualerziehung bestenfalls scheinklar. Medien und Arbeitsmittel werden dem Lehramtsstudenten als unverzichtbar für modernen effektiven Unterricht hingestellt; wenn es aber echt ums „Lernen fürs Leben“ geht, um Partnerschaft, Sexualität, Liebe, AIDS und Prophylaxe, dann dürfen offensichtlich diese Wahrheiten in die Binsen.

Medien sind und bleiben Mittler zur Ergänzung und Bereicherung; Ersatz sind sie für eine intime Wirklichkeit zwischen persönlichem Erziehungsgespräch, apersoneller Sachinformation aus dem Lexikon z. B. und etwaigem dumpfen Ahnen auf mediale Impulse wie z. B. Stöhnen im Film in einem nahezu dunklen Zimmer.

Das Feld dieser Quasi-Informanten liegt noch wissenschaftlich brach.

Die soziale Wirklichkeit der Sexualpädagogen gespiegelt in der Medienlandschaft einer pluriformen Gesellschaft bleibt janusköpfig, zwielichtig: Einerseits mystisch, märchenhaft, abergläubisch und religiös verbrämt, andererseits nassforsch, progressiv als Paradepferd geritten.

Fingerspitzengefühl darf in lebensbedeutsamen Erziehungssituationen von Berufspädagogen wohl erwartet werden. Dass diese wenig vorbereitet an die Arbeit gehen, medienkritisch kaum begleitet werden, wissen nur die Verantwortlichen aus wissenschaftlichen Untersuchungen und vom Hören und Sagen, nicht die Kinder und die Eltern.

Unterricht und „schulische Medien“

In den letzten Jahren ist das Angebot der Verlage auch auf diesem Sektor ausgeufert. Viel (bis nahezu alles) wird angeboten; die Qualität ist technisch ausgereift, bleibt jedoch pädagogisch z. T. fragwürdig, weil Tendenz, Diktion, Visualisierung, Altersansprache und Preis nicht stimmen. Dies gilt nahezu für alle Bereiche: Modelle, Präparate, Lehrtafeln und Wandbilder, Haftelemente, Umrissstempel, Großvorlagen, Schallplatten, Dias, Tonbilder, Transparente, Filme, Videos, Bildplatten und ganze Medienpakete. (Sibbing stellt dies umfangreich dar in: Kluge, N., Handbuch der Sexualpädagogik, II, Schwann Düsseldorf 1984, S. 425 ff).

Das Angebot zu sexualbiologischen Themen überwiegt, sexualerziehliche Kommentare bei Filmen z. B. werden kritischer beurteilt, weil sie sich gegebenermaßen über die Autoren nicht dem Zugriff des Zeitgeistes entziehen können. Aus diesem Grunde wurde wohl auch eine ganze Filmserie „eingestampft“ zum Thema: „Betrifft Sexualität“. Die Forderungen für Lehrer durch Richtlinien und die Umsetzung in die konkrete Praxis unterliegen offensichtlich doch divergierenden Maßstäben. Ein Beispiel: Hirtenwort der deutschen Bischöfe 1973: „Wir bitten auch die Lehrer, den jungen Menschen unter Verwendung von kritisch und verantwortungsbewusst ausgesuchten Lehrmitteln zu helfen, ihre Geschlechtlichkeit in rechter Weise zu verstehen und in ihr Leben einzufügen.“ Niemand denkt dabei im Unterricht schockierende, aufreizende Darstellungen einzusetzen, weil nicht alles, was man heute fotografieren kann, eine sinnvolle Unterrichtshilfe ergibt. Medien werden dort benötigt, wo sich durch Sprache allein eine eindeutige Aussage nicht erreichen lässt, wo über das optische, akustische, audiovisuelle und emotionale Ansprechen der Sinne erst Wirkung, Auseinandersetzung und Haltung begründen lässt.

Medien transportieren landläufig anscheinend nur Inhalte; der Praktiker jedoch erfährt, dass Jugendliche häufig unbewusst Medien benützen als Verhaltensvorlage. Die Vorbildwirkung im Lernprozess mit Medien wird vernachlässigt. Nur der geschulte Erzieher weiß zusätzlich um die intra- und interindividuell wirksamen Unterschiede.

Noch so gut gestaltete Medien können das persönliche Wort des Lehrers nicht ersetzen. Als Veranschaulichungsmittel sind sie stets auch (fehl)interpretierbar. Der Unterrichtende, der Schüler und seine Eltern oder der Schulrat (aus der Ferne) beurteilen je anders. 

Mediengestützter Unterricht muss deshalb durchdacht und exakt vor- und nachbereitet, die Medien müssen dem Lehrer persönlich bekannt sein, ebenso wie ihre rechtliche Beurteilung durch die Landesbildstellen. Hier erhält man auch die Listen der genehmigten Medien und sachdienliche Beratung.

Insgesamt gewinnt man den Eindruck, dass genügend Material vorliegt, dabei aber wenig geeignetes für einen alters- und Milieubezogenen Unterricht, wenn man „erziehlich“, nicht „kindlich“ denkt.

Die Statistik (Diplomarbeit des Verfassers) zeigt, dass fast 70 % der befragten Lehrer ihre Lehrerbücherei für schlecht bis unzureichend ausgerüstet sehen. Das bedeutet, dass sie ihre nötigen Medien und Materialien selbst beschaffen müssen, denn gleichzeitig geben 93,6 % an, dass sie Medien einsetzen. (in: L. Dietz, Sexualerziehung aber wie, Prögel München 1985, S. 14 ff)

Unterricht und „Alltagsmedien“

Nicht die ungeheuere Vielfalt zu erkennen, sondern die Frage wie man damit umgehen soll, stellt ein Problem dar für den Praktiker. Sogenannte „„nichtgenehmigte“, eher zufällige „Alltagsprodukte“: Prospekte, Zeitungsartikel, Werbebilder, Grafiken, Witze, Wandschmierereien, Sprüche, Werbegeschenke, Berichte und Dokumentationen in Illustrierten.

Nach meiner Erfahrung eignen sich Materialien, die der Lehrer für seine unterrichtliche Situation „zuschneidet“ besonders gut, weil hier effektiv und lernzielbezogen zuerst mit den Eltern und dann mit ihren Kindern gearbeitet werden kann. Auch in diesem Falle sind die vorliegenden Schulgesetze zur „Arbeitsblattgestaltung“ zu beachten. Ich lege Materialien, die ich für wichtig erachte z. B. im Elternabend auf, bitte die Eltern, sich sachkundig zu machen und ggf. mit ihren Kindern das Gespräch zu suchen. Auf diesem Wege bringe ich geeignetes Material an „„den Mann“ und wenn das Gespräch im Unterricht auf bestimmte Situationen zusteuert, erlebe ich häufig, dass die Schüler von ihren Eltern die Materialien erhalten haben. Die Rückmeldung hat geklappt, das Ziel ist erreicht; eine eventuell bevorstehende Auseinandersetzung im schwierigen Genehmigungsverfahren wurde vermieden!

Als Rat für Lehrkräfte: Aktion Eichhörnchen! Alles was verwendbar ist wird nach Richtlinien- bzw. Themenraster gesammelt, z. B. Medienpaket kostenlos auf Anforderung mit Schulstempel: Fa. Johnson, Pf 38 20, 4000 Düsseldorf.

Da heute sehr viele Eltern finanziell so gestellt sind, dass sie gerne Bücher schenken, sollte der Lehrer diese Situation nutzen! Es gibt zahlreiche Kinder- und Jugendbücher (von prüde bis freizügig), die den Eltern empfohlen werden können. Für Kleinkinder und Grundschüler eignet sich dann gut die „Schossbuchmethode“. Die vorlesende Person kann mit Körperkontakt gerade auch sexualpädagogisch bedeutsame Inhalte in besonders lernwirksamen Situationen wie nebenbei „erarbeiten“. Da die Kassettenrekorder nahezu in jedem Kinderzimmer stehen, eignen sich auch Empfehlungen für „zärtliche Hörbeispiele“, um die Verrohung in den Massenmedien je individuell entgegenzusteuern.

Vom Zeitgeist in den Medien

Der Beschluss der KMK 1968 war Fundamentum für Kompromiss-Inhalte und für konsensfähige bundesdeutsche Unterrichtsmethodologie. Medien werden ausdrücklich erwähnt. An zwei „Paradebüchern“ lässt sich die Situation „transferierbar“ erhalten. Mit dem „Sexualkunde-Atlas“ 1969 des Bundesministers Frau Käte Strobel fand die Diskussion um „welche Medien werden den Sexualpädagogen erlaubt“ ein Ende. Hier fand sich unter anonymer Autorenschaft zementiert, wo notwendigerweise Stichzeichnungen (Akt von Picasso) und wo man doch wohl zeitgemäß reale Bilder (Fetalfotografie) und detaillierte Beschreibungen einzusetzen seien. Verwirrten vormals mich als Pubertierenden noch wirr staffierte Strichzeichnungen von unverständlichen biologischen Schnitten in nicht nachvollziehbaren Lagen und noch nie gesehenen punktierten Öffnungen, blieb in den 70er Jahren die Hoffnung, dass die technisch-fotografischen Möglichkeiten auch dort Wirkung zeigen würden, wo sie seit langem notwendig warne, z. B. bei den sekundären Geschlechtsmerkmalen. Allein die Hoffnung und die Technik genügten nicht. Fundamentalisten begannen wieder selbst den Minimalkonsenskompromiss des Atlanten als zu biologistisch zu zerfleddern.

Wie sollte ein Biologiebuch wohl sonst sein. Ethische Maßstäbe werden üblicherweise in den Religionsbüchern verdeutlicht. Zehn Jahre später (1980) erfuhr die Broschüre „Muss-Ehen muss es nicht geben!“ der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ein ähnliches Schicksal. Dabei wären in Bayern, dem Lande mit den meisten unehelich geborenen Kindern, solche Schriften sicherlich kein Luxus! Im Nachhinein zeigen sich für die sexualpädagogische Gesamtsituation positive Aspekte: Diese ideologisch geführte und stereotyp besetzte Hürde wurde genommen und führte über die „biologische Auseinandersetzung“, die sog. Sexualkunde, zur nun begrüßten mehrperspektivischen Sexualerziehung. Die noch immer biologisch ausgerichteten Medien erfahren nun bewusste Einordnung und Wertorientierung durch das lebendige Wort erwachsener Erzieher. Dieses Konzept kann jetzt Sexualität entscheidend in die Persönlichkeitsentwicklung integrieren. Geblieben sind esoterische Mittelstandsansprüche und ihre typischen nicht zu widerlegenden milieuspezifischen Wertbezüge, die denen der Subkultur nicht unähnlich sind.

Der alte 5 DM billige anonyme Atlas ist verschwunden.

Jetzt eineinhalb Jahrzehnte später kommt ein anderer. Er stammt vom renommierten Sexualpublizisten Professor Dr. Haeberle und ist wissenschaftlichen Kriterien verpflichtet. Die Kritik bleibt noch auszutragen, weil zu wenige Kritiker sich das Buch für 50,00 DM leisten können wollen.

Der Autor argumentiert zeitgemäß ehrlich: „Ich bin überzeugt, dass es an der Zeit ist, die menschliche Sexualität auch visuell wie jeden anderen wissenschaftlichen Gegenstand zu behandeln“.

Der Zugriff des Zeitgeistes ist allenthalben spürbar wie vormals beim Sexatlas. Dem Anspruch nach für eine vielschichtige Leserschar, dem „Gewicht“ nach wohl für Fachkreise geschrieben. Auf 559 Seiten bleibt dem Laien und dem Forscher keine Frage offen. Hier wird exemplarisch gezeigt, dass nur echte Fachleute fachübergreifend, personalorientiert und mediengestützt, die Sexualerziehung auf einen guten Weg führen können.

Kritischer Ausblick

Leider muss man Verständnis aufbringen, dass Lehrer nicht wie in den Richtlinien vorgesehen unterrichten können/wollen. Überall wird über Ausbildungsdefizite geklagt. Nicht immer sind hier die Inhalte und Methoden gemeint. Häufig wird nach Seminaren zur „Selbstbewältigung“ gefragt.

Die Statistik zeigt hier eine desolate Situation:

81,2 % nicht im Studium vorbereitet – I. Phase der Lehrerbildung

78,4 % nicht im Seminar behandelt – II.

76,4 % keine Fortbildung angeboten – III.

Autodidakten schaden nach Meinung aller Experten durch dilettantistische Herumprobiererei. Es bleibt verwunderlich, dass der Staat nicht in ein Institut/Lehrstuhl investiert, um die Qualifikation der Qualifikateure, die Ausbildung der Ausbilder zu betreiben. Ist auch hier die „Angst“ des Politikers immer noch vor der Sexualpädagogik als politischer Kraft zu spüren?

So wird wohl weiter von einzelnen an Phänomenen nach Gutdünken herumgedoktert werden, – an die Wurzelbehandlung traut sich keiner. Das wäre doch etwas für mächtige „Überlehrer“! Wie wäre es Herr Geißler? Hier könnten „als Wiedergutmachung“ sie demonstrieren, wie konstruktive Sexualpädagogik zu sein hat.

So bedeutet es für mich bei unbestrittener Notwendigkeit und der juristischen Festlegung der schulischen Pflichtsexualerziehung, sich schuldig zu machen an den dem Staat anvertrauten Kinder. Allerdings sollte auch gesehen werden, dass das vermeintlich so rigorose Schrankendenken des verantwortlich handelnden Ministeriums z. B. in der Beschränkung und Reglementierung des Medieneinsatzes nicht nur Restriktion bedeutet, sondern konsensfähige Rahmenvorgabe sein will, die zum Schutz von uns allen erst einmal mit Leben erfüllt werden müssen.