3.5.2024 – Aktuelles Schulrecht: Mindeststrafen für Kinderpornografie gesenkt: Rettet das eine angeklagte Lehrerin aus Rheinland-Pfalz?, fragt der Lehrkräfteverband VBE

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(https://bnn.de/nachrichten/pfalz/mindeststrafen-fuer-kinderpornografie-gesenkt-rettet-das-eine-angeklagte-lehrerin)

Quelle: VBE-Nachrichten mit Statements des VBE Bundesvorsitzenden Gerhard Brand  aus Badische Neueste Nachrichten

Eine Strafverschärfung zu Kinderpornos brachte auch gutmeinende Menschen auf die Anklagebank. Nun hat der Gesetzgeber reagiert – doch Ermittler und Lehrer geben keine generelle Entwarnung. Die DGG empfiehlt grundsätzlich, die Thematik auf die Tagesordnung in einer Konferenz zu Schuljahresbeginn zu setzten und dazu einen Experten hinzuziehen. Niemand sollte – wie es gelegentlich Lehrkräfteart ist – alles (besser) wissen.

Für die betroffene Lehrerin muss es ein Albtraum sein. Seit rund einem Jahr lebt sie in der Angst, alles zu verlieren: ihren Beruf, ihre finanzielle Absicherung, ihren guten Ruf. Weil sie einer gedemütigten Schülerin helfen wollte, wird die Frau aus Rheinland-Pfalz im Jahr 2023 angeklagt – wegen des Besitzes und der Weiterverbreitung von Kinderpornografie. Von Anfang an droht der Pädagogin eine Gefängnisstrafe von mindestens einem Jahr.

Beamtenstatus selbst bei Bewährung futsch

„Bei Beamten ist solch ein Fall besonders dramatisch“, erklärt Gerhard Brand, Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE). „Wenn der Strafrahmen erst bei einem Jahr beginnt, ist der Beamtenstatus weg – auch wenn die Strafe zur Bewährung ausgesetzt wird.“

Noch ist für den 26. September dieses Jahres die Gerichtsverhandlung der Lehrerin terminiert. Doch das Schlimmste bleibt der Frau wohl erspart: Bundestag und Bundesrat haben das viel kritisierte Gesetz zur Kinderpornografie geändert – und in rekordverdächtigem Tempo wurde die Novelle des Paragrafen 184b im Strafgesetzbuch zum Wochenende in Kraft gesetzt.

Wesentliche Neuerung: Die Mindeststrafe für das Verbreiten kinderpornografischer Inhalte ist nun auf sechs Monate Freiheitsstrafe herabgesetzt, die Mindeststrafe für Besitz und Abruf von Kinderpornografie auf drei Monate. Bisher galt bei beiden Taten eine Mindeststrafe von einem Jahr Gefängnis.

„Wir können mit diesen Fällen jetzt deutlich flexibler umgehen“, sagt der Karlsruher Oberstaatsanwalt Martin Schacht, dessen Abteilung für Jugend- und Sexualstrafsachen zuständig ist. „Die Bandbreite ist riesig. Die reicht von 14-Jährigen, die nackt posieren und Aufnahmen von sich selbst machen, bis hin zu schwerem sexuellem Missbrauch von Säuglingen.“

Hilfsbereiter Lehrerin aus Rheinland-Pfalz drohte Gefängnisstrafe

Die Mindeststrafe von einem Jahr sei „überzogen“ gewesen, erklärt Schacht: „Das sagen alle Fachleute.“ Die Ermittler und die Justiz drohten „mit Bagatellfällen zugeschüttet“ zu werden, und dann fehle Zeit und Personal für gravierende Fälle.

Erst im Juli 2021 hatte die Große Koalition das Gesetz verschärft und alle Taten im Zusammenhang mit Kinderpornografie vom Vergehen zum Verbrechen hochgestuft – und damit Härtefälle wie jenen der Pfälzer Lehrerin erst produziert. Eine Verfahrenseinstellung war hier nicht mehr möglich. Garantiert ist sie auch künftig nicht. Warum die Lehrkraft überhaupt vor Gericht sollte, klingt für Laien unglaublich.

Denn die Pädagogin aus dem Westerwald hat weder eine pädophile Neigung, noch wollte sie sexuell erregende Aufnahmen in Umlauf bringen. Sie bekam jedoch mit, dass eine 13-jährige Schülerin im Netz bloßgestellt wurde – mit intimen Aufnahmen, die das Mädchen selbst gemacht hatte. Ein Freund verschickte das Material übers Netz an Andere.

Pädagogin schickte Nacktaufnahmen an eine Mutter

Um der verzweifelten Teenagerin zu helfen, besorgte sich die Lehrerin die Bilder und leitete das Material ungeöffnet an die Mutter der Betroffenen weiter – damit die Familie gegen den Täter vorgehen und die Löschung der Bilder bewirken könnte. Doch die gutmeinende Lehrerin geriet selbst in den Fokus der Ermittler.

Vor solchen Extremfällen hatten Experten schon vor der Gesetzesverschärfung 2021 eindringlich gewarnt. Dazu gehörte auch Sonja Hoffmann, Referentin für Kriminalprävention beim Polizeipräsidium Offenburg.

„Ich persönlich befürworte die jetzige Gesetzesänderung – sie ist der Realität angepasst“, sagt die Kriminalhauptkommissarin. Gerade bei Jugendlichen sei neben Neugierde häufig auch „Unbedarftheit“ im Spiel: Wenn in einem Schul-Chat kinderpornografisches Material landete, bekamen mitunter alle Teilnehmer eine Anzeige, erläutert Hoffmann: „Man musste die Nachricht nicht einmal geöffnet haben – allein der Besitz reichte.“ Dass WhatsApp-Fotos automatisch in der Foto-Galerie gespeichert werden, brachte schon manchen Teenager in die Bredouille. 

Wobei die Justiz bei Jugendlichen schon bisher flexibel agieren und Verfahren einstellen konnte, wie Oberstaatsanwalt Schacht betont. Die Jugendgerichtshilfe in Karlsruhe schaue sich die Fälle dann näher an: In welchem Umfeld lebt der Teenager? Liegt eine sexuelle Störung vor oder ging es um typisch jugendliche Neugier und Grenzerfahrung?

„Bei den Jugendlichen müssen wir die Medienkompetenz stärken“, nennt Schacht ein vordringliches Ziel. Die Bilderflut und die Unsitten aus dem Netz stürzen nach seiner Erfahrung auf immer jüngere Kinder ein: „Wir haben es schon mit fünf- und sechsjährigen Mädchen zu tun, die sich selbst filmen – und das auch noch hochladen und verschicken können.“

Die Strafverschärfung von 2021 jedoch traf vor allem Erwachsene – wie die Lehrerin, die bewusst, wenn auch in aller Unschuld, Kinderporno-Material weiterleitete. Deshalb hatte auch die rheinland-pfälzische Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD) „dringend“ eine Reform angemahnt und die betroffene Lehrkraft unterstützt. „Insofern begrüßt die Bildungsministerin die nun beschlossene Gesetzesänderung“, erklärt Hubigs Sprecher.

Gibt es eine Verfahrenseinstellung für die Lehrerin?

Der Prozess vor dem Amtsgericht Montabaur ist vorerst nicht abgeblasen. „Die Entscheidungen zum Verfahrensgang trifft der Vorsitzende des Schöffengerichts Montabaur in richterlicher Unabhängigkeit“, erklärte Gerichtsdirektor Ralf Tries auf Anfrage dieser Redaktion. Ob eine Verfahrenseinstellung nun in Frage komme, werde „selbstverständlich“ gegebenenfalls geprüft.

Generell aufatmen können nach der Reform auch weder Polizei noch Justiz oder Lehrkräfte. „Weniger Arbeit wird es für uns nicht“, sagt Kriminalhauptkommissarin Hoffmann. „Es müssen weiterhin alle Fälle aufgenommen und weitergeleitet werden.“

Einige Gerichtstermine werden zwar künftig wegfallen. Und die Schöffengerichte werden entlastet, weil nun auch wieder Einzelrichter für Kinderpornografie-Fälle zuständig sind. Eine Riesenentlastung für sein Team erwartet Oberstaatsanwalt Schacht aber keineswegs.

Warum, das zeigt ein Blick auf die Statistik. Nur 74 Verfahren zu Kinder- und Jugendpornografie betreute seine Abteilung im Jahr 2017 – danach stieg die Fallzahl stetig bis sprunghaft: 265 Verfahren waren es im Jahr 2020. Im Jahr der Gesetzesreform 2021 gab es dann einen starken Anstieg auf 533 Verfahren. Im Jahr 2023 sollen es nach vorläufigen Hochrechnungen etwa 940 gewesen sein. Und das liegt laut Schacht keineswegs daran, dass scharenweise Unschuldslämmer mit dem Gesetz in Konflikt kamen.

Extreme Härtefälle wie die Pfälzer Lehrerin? „Die hatten wir ganz, ganz wenig“, sagt der Oberstaatsanwalt. Der Anstieg der Kinderpornografie-Fälle rühre auch daher, dass schlicht mehr einschlägiges Material im Netz kursiert – und auch mehr echte Täter entdeckt werden. Die Fahnder der US-Organisation Ncmec (Nationales Zentrum für vermisste und ausgebeutete Kinder) meldet systematisch Kinderpornografie-Fälle auch an deutsche Behörden.

Die Lehrergewerkschaft VBE begrüßt die Gesetzesnovelle, hätte sich aber noch klarere Regeln für gutmeinende Eltern und Lehrer gewünscht. Deshalb hat der Bundesvorsitzende und baden-württembergische Landesvorsitzende Gerhard Brand einen dringenden Rat für die Lehrkräfte, wenn sie mit Kinderpornografie in Berührung kommen: „Finger weg – und die Polizei hinzuziehen. Denn es geht immer noch um einen Straftatbestand.“ – …

Guter Rat bleibt teuer: … „Wenn dieser Rat nur wirklich vernünftig und eindeutig wäre“, so Dietz von der DGG, leider finden sich gerade in der zuständigen Organisation der Polizei nicht nur Experten (m,w,d)“. Nicht selten drohe „Verschlimmbesserung“ eines möglichen Falles.