OFARIN: Bericht und Rundbrief, 10. März 2023
Liebe Freunde,
am 1.März hat tatsächlich die Unterzeichnung des Partnerschaftsvertrages zwischen dem afghanischen Erziehungsministerium und OFARIN stattgefunden. Neben einer Registrierung beim Wirtschaftsministerium, müssen wir ein Partnerministerium haben, das unsere Arbeit inhaltlich begleitet. Bisher war das das Ministerium für Religiöse Angelegenheiten, das für Moscheen und auch für die Pilgerreisen nach Mekka zuständig ist. Seit der Übernahme der Macht durch die Taliban, hatte man in diesem Ministerium Personen für die Kontakte zu OFARIN verantwortlich gemacht, mit denen eine Zusammenarbeit praktisch unmöglich war. Später hatte die Regierung der Taliban beschlossen, dass Hilfsorganisationen wie OFARIN Schulunterricht nur noch als Partner des Erziehungsministeriums anbieten dürfen. Seit dem 1.März tut OFARIN das.
Es hat OFARIN rund neun Monate lang einen erheblichen Aufwand an Verhandlungen und Bürokratie gekostet, obwohl sich auch das Ministerium mit Wohlwollen des Vorhabens angenommen hatte. Bisher war OFARINs Unterricht in den meisten Orten mit einem gewissen Risiko fortgesetzt worden. Jetzt ist er richtig legal. Wo man die Klassen beurlaubt hatte, wird wieder unterrichtet. Trainerinnen und Trainer von OFARIN haben den Unterricht in den Moscheen von Qalatscha und Bini Hissar besucht.
Mullah Mukhtar, der Imam von Bini Hissar, hatte nur noch Religionsunterricht in seiner Moschee erlaubt. Der wurde von unseren Lehrkräften erteilt. OFARIN entlohnte diese aber nicht. Jetzt ist alles wieder in Ordnung. Überall wird alles unterrichtet und Lehrerinnen und Lehrer werden besoldet. Eine Spezialität in Bini Hissar ist, dass in der Moschee auch Mädchen unterrichtet werden. Grundsätzlich ist der Unterricht für kleine Mädchen bis Klasse sechs erlaubt, aber nicht in Moscheen. Dank der Geschlechtertrennung müssen Mädchen nämlich von Lehrerinnen unterrichtet werden. Die aber dürfen nicht täglich in die Moscheen kommen, weil sie nach talibanischer Auffassung das Haus Gottes auf gefährliche Art verunreinigen könnten. Mullah Mukhtar ist in politischen Fragen ein ängstlicher Taktierer und wollte sich an dieses Gebot der Obrigkeit halten. Aber die Weißbärte, das ist so etwas wie der Pfarrgemeinderat, entschieden, dass in der Moschee auch Mädchen unterrichtet werden müssen.
Mit großer Freude haben wir erfahren, dass auch in unserem Projektgebiet in Paryan, in der Provinz Pandschir – das liegt fast 3.000 m hoch – der Unterricht wieder aufgenommen wurde. Im Pandschirtal war lange gekämpft worden. Es gab kaum telefonische Kontakte, weil die Taliban und wohl auch pakistanisches Militär vieles kontrollierten. Mudir Yaya, unser Projektleiter dort, gab um Weihnachten herum durch, dass die Menschen – auch die Familien unserer Schüler und Lehrer – aus der Gegend wegziehen und nach Kabul kommen wollten. Jetzt meldet Yaya, dass die Kämpfe abgeflaut seien. Nur im äußersten Hochgebirge, gäbe es vereinzelte Zusammenstöße. In Paryan sei es ruhig. Der Unterricht habe wieder begonnen.
Als wir uns im Sommer 2022 nach Partnerschaften mit anderen Ministerien als dem für Religiöse Angelegenheiten umsahen, besuchten wir u.a. auch das Ministerium für Grenzfragen. Die Kontakte waren erfreulich. Wir beschlossen, OFARINs Projektgebiet in der Provinz Logar in eine Partnerschaft mit diesem Ministerium einzubringen. Gegenüber dem Erziehungsministerium gaben wir deshalb dieses Projektgebiet mit seinen gut 20 Klassen nicht an. Als die Taliban später verfügten, dass nur noch das Erziehungsministerium als OFARINs Partner in Frage kommt, wollten wir den mühsamen Prozess des Partnerwerdens nicht durch die nachträgliche Änderung der zunächst angegebenen Projektgebiete und Klassenzahlen belasten. Andernfalls wären vermutlich die Verhandlungen wieder von vorne begonnen worden. Logar müssen wir also später in die Partnerschaft einbringen, wie wir das auch mit weiteren Gebieten tun müssten, in denen wir später einmal aktiv werden wollen. Wir sehen keine Probleme für OFARINs Klassen in Logar. Das dortige Programm erfreut sich des Wohlwollens der Provinzbehörden. Der Unterricht lief und läuft reibungslos.
Im Februar-Rundbrief hatte ich bereits vermutet, dass wir nach Naurus, dem afghanischen Neujahrsfest am 21. März (Frühlingsanfang), unruhige Zeiten im Schul- und Bildungswesen erwarten. Dann enden in den kalten Provinzen, also in den meisten Gebieten Afghanistans, die Winterferien. Die bisher ungeklärte Frage, ob Mädchen von der siebten Klasse an wieder in die Schule gehen und ob Frauen studieren dürfen, ist unbeantwortet. Das Staatsoberhaupt, der Emir Haibatullah Akhondzadah, ist gegen die Bildung von Frauen und Mädchen. Mächtige Minister, wie der Innenminister und der Verteidigungsminister, sind strikt für diese Bildung. Die Bevölkerung, nicht nur in den Städten, dürfte die Bildung von Mädchen und Frauen mehrheitlich befürworten. Die Mehrheit der Taliban-Krieger dürfte wie der Emir denken, zumal der Emir als „Anführer der Gläubigen“ auch eine religiöse Instanz ist. Es kann also munter werden.
Zu allem Überfluss beginnt am afghanischen Neujahrstag oder einen Tag früher oder später der Fastenmonat Ramadan (das wird danach entschieden ob der Neumond gesehen wurde oder nicht). Das könnte die Entscheidung über die Bildung von Frauen und Mädchen vertagen.
Wird diese Bildung offiziell verboten oder wird eine Entscheidung weiter hinausgeschoben, dürfte der Emir seinen Zugriff auf die Schulen und Universitäten verlieren. Sollte sich das Erziehungsministerium dann nicht vom Emir distanzieren, werden bald die Behörden der Provinzen oder lokale Initiativen die Entscheidungsgewalt über die Schulen übernehmen.
Was auch kommen wird – OFARIN befindet sich in dieser Auseinandersetzung in einer komfortablen Nische. Unser Unterricht ist elementar. Er richtet sich nicht an größere Mädchen oder an Frauen. Unser Tun liegt also abseits der Hauptkampflinie, um die Bildung von Frauen und älteren Mädchen. Unter uns: Es gibt schon einige Klassen von OFARIN, die von größeren Mädchen und sogar von Frauen besucht werden, die bisher nicht zur Schule gegangen sind. Aber dort wird man wissen, wie man sich zu verhalten hat. Wir sehen jedenfalls die zu erwartenden Auseinandersetzungen innerhalb der Taliban-Führung gelassen und hoffen, dass sie eine Wende zum Besseren bringen.
Vermutlich langweilen Sie die vielen Details, die ich Ihnen zugemutet habe. Für uns – für Anne Marie und mich – sind die aber so erfreulich, dass wir sie Ihnen nicht ersparen. Wir haben Perspektiven für eine ruhige Weiterentwicklung. Natürlich wollen wir persönlich mitwirken und sehen, was möglich ist. Daher werden wir möglichst schnell nach Afghanistan reisen. Noch haben wir kein Ticktet. Aber in einer Woche wollen wir weg sein. Die Aufenthaltsdauer wird sich nach dem richten, was sich an Möglichkeiten auftut – aber natürlich auch nach den visatechnischen Gegebenheiten.
Sie können uns auch in Afghanistan weiterhin unter der E-Mail-Adresse schwittek@t-online.de erreichen.
Herzliche Grüße,
Peter Schwittek.